Von Freskomalerei bis Notion: Produktivitätshacks für die moderne Zeit
Während meines Urlaubs habe ich auf ArteTV eine Dokumentation über Freskenmalerei, von Fresco = Frisch, angeschaut. Als Mensch der gerne spontan themenübergreifend Verknüpfungen herstellt, ist mir beim Zusehen ein kleiner Gedanke durch den Kopf geschossen.
War Giotto ein Produktivitätsheld? Also besonders produktiv und nachhaltig?
In der Dokumentation wurden verschiedene Arten der Freskomalerie gezeigt. Unteranderem wurde eine Basilika gezeigt, deren Freskomalerien konstant erhalten werden. Der Restaurator führte aus, dass Giotto besonders gut gemalt hatte und seine Malereien und Farben bis heute sehr gut erhalten seien. Im Gegensatz zu seinem Lehrer Chimabue.
Die Bezeichnung Freskomalerei bezeichnet das Vorgehen beim Malen, indem frischer Putz aufgetragen wird und auf den noch feuchten Untergrund gemalt wird. Auf diese Weise verbindet sich die Farbe optimal und bleibt sehr lange erhalten.
Beim Fresko trägt man also jeden Tag nur so viel Putz auf, wie man es schafft diesen zu bemalen – die sogenannten Giornata. Bis heute kann man diese Malabschnitte an unterschiedlich gefärbten Bereichen erkennen, weil die Farbe unterschiedlich einzog oder der Farbton nicht ganz gleich angerührt wurde.
Giotto und die Freskomalerie
Giotto war darin Meister, weil er sehr gut abschätzen konnte, wie weit er pro Tag kommen würde. Sein Lehrer trug viel grössere Flächen Putz aufs Mal auf und arbeitete viel längere Tage als sein Lehrling. Durch die Arbeitsweise von Cimabue sind heute seine Malereien schlechter erhalten, weil er auf bereits trockenen Putz malte.
Meine Einsichten
Diese zwei Arbeitsstrategien lehrten mich etwas über Produktivität und Nachhaltigkeit:
- Wer seine Tagesziele gut einschätzen (lernt), arbeitet pro Tag eine “gesunde” Menge an Stunden (als heute), dafür bleibt die Arbeit besser erhalten.
- Wie kann ich herausfinden, wieviel ich pro Tag schaffen kann, ohne auszutrocknen?
- Wie kann ich meine Arbeit in Tages-Etappen planen?
Foto von Janis Ozolins
Die Bedeutung der Giornatas
Für mich zeigt dies auf, dass man seine Giornatas nicht vollstopfen sollte, sondern seine Arbeitszeit einschränken und wenige wichtige Tagesziele setzen sollte.
Giotto hatte den Vorteil, dass seine Arbeitsweise und Arbeitsresultat greif- und sichtbar sind.
Für uns Wissensarbeiter, meistens am Computer tippend, müssen wir andere Strategien finden, wie wir unsere Tage und Tagesresultate greif- und messbar machen.
Ich hatte zeitweilig ein Tortenkunst-Business; auch dort waren die Arbeitsresultate greif- und essbar. Aber die gesamte Arbeit war aufbauend und seriell. Wenn der Kuchen gebacken war, konnte ich nicht zurück und an den Zutaten schrauben. Unterlief mir in der Herstellung ein Fehler, konnte ich nicht zurückspuhlen oder Cmd + Z tippen. Das ist der Vorteil mit Computern, ich kann mehrere Dinge parallel tun und kann auch frühere Arbeiten nochmals überarbeiten.
Dieser technologische Vorteil, diese grosse Flexibilität, birgt für uns die Herausforderung, für uns selbst eine Struktur zu geben. Heute ist nicht mehr der feuchte Putz die Masseinheit, sondern wir.
Eine Giornata von Michelangelo, Sixtinische Kapelle
Eine Giornata von Giotto, Cappella degli Scrovegni
So wirst du auch zum Giotto
Nachfolgend einige Strategien und Werkzeuge, die dir helfen deine eigenen “Giornatas” zu identifizieren und Produktivität zu steigern. Sie sind aufbauend geordnet und ich empfehle dir bei eins zu beginnen.
Sei dir bewusst, dass nicht jede Strategie zu dir passt. Einerseits hat man Präferenzen, andererseits hast du vielleicht eine Tätigkeit, die dir nicht viel Gestaltungsraum bietet und du zu einem hohen Grad fremdbestimmt bist.
Trift Letzteres auf dich zu, habe ich weiter unten einen Paragraphen dazu geschrieben.
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Zeitprotokoll führen
Zuerst musst du wissen, was du genau jeden Tag tust. Damit du “Datenmaterial” zur Selbstanalyse erhältst, empfehle ich dir ein Zeitprotokoll zu führen. Ich empfehle dir eine Woche lang deine Arbeitstage mit einer Eieruhr in 30 Minuten Intervallen aufzuteilen. Jedesmal wenn der Alarm losgeht, schreibst du auf, was du in den letzten 30 Minuten getan hast.Keep it simple: ein Blatt Papier neben deiner Maus reicht aus. Die Erfassung soll schnell gehen.
Kategorisiere die Einheiten am Ende des Tages. Ich unterteile dies zum Beispiel folgende Bereiche: Admin, Buchhaltung, Verkauf, Marketing, Leistungserbringung, Business-Entwicklung, Lernen – für dich als reine Inspiration.Ich empfehle die Zeitprotokoll-Führung nicht in Notion zu führen (ausser, du schaffst es immer einen eigenen Tab dafür offen zu halten). Sondern auf einem linierten Blatt. Du kannst auch eine Tabelle mit Zeitfenstern bereits abfüllen und ausgedruckt auf deinen Arbeitsplatz legen.
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Pomodoro-Technik
Wenn du weisst, was zu tun ist, aber nicht abschätzen kannst, wie lange das Was geht.
Mit der Pomodoro-Technik unterteilt man seine Arbeit in kurze Intervalle (z. B. 25 Minuten), gefolgt von einer kurzen Pause (z. B. 5 Minuten).
Durch das Festlegen in Zeitabschnitte, die Arbeiten und Pausen beinhalten, powerst du dich nicht aus. Gleichzeitig steigt deine Konzentrationsfähigkeit durch die kurzen Pausen.
Nutze zudem deine Pausen für etwas Augentraining, wenn du oft am Bildschirm arbeitest.
Falls du keine Ideen hast, was du in deinen Pausen dir Gutes tun könntest, weiter unten habe ich einige Ideen für deine Pomodoro-Pausen zusammengestellt.Du kannst die Pomodoro-Technik mit Punkt 1 kombinieren. Aber Vorsicht! Weniger ist mehr. Wenn du beide Methoden noch nie gemacht hast, dann bitte nicht kombinieren. Du willst dir, aus Effizienz-Gedanken, nicht zu viel von dir abverlangen!
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Aufgaben priorisieren mit Eisenhower-Matrix
Erst wenn du weisst, wie lange etwas geht und was zu tun ist, kannst du priorisieren. Mit der Eisenhower-Matrix-Methode teilst du deine Aufgaben in vier Quadranten ein.
- Wichtig und Dringend
- Wichtig aber nicht Dringend
- Dringend aber nicht Wichtig
- Nicht Dringend und nicht Wichtig
Es hat bei mir recht lange gedauert, bis ich diese Methode in den Griff bekam. Weniger weil ich das Prinzip nicht verstand, sondern weil ich es echt herausfordernd fand, Aufgaben zu priorisieren. Zu gerne verweile ich bei Aufgaben die Spass machen oder mir bekannt sind, anstelle Wichtig und Dringend zuerst anzugehen.
Was wirklich wichtig ist, ist ein Lernprozess. In der Theorie klingt es immer mega nachvollziehbar, in der Praxis hat man es mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten zu tun. Und um darum geht es schlussendlich bei dieser Methode; sich selbst anzutrainieren, das Wichtige zuerst anzugehen. -
Führe To-Do-Listen
Ohne Absicht oder Zwang alles erledigen zu wollenUm mein Hirn frei zu bekommen, habe ich angefangen einfach alle Aufgaben aufzuschreiben. Aber ohne Frist. Ich füge höchstens mehr Kontext hinzu und kategorisiere sie in Bereiche wie unter Punkt 1 erwähnt.Später gehe ich durch die Liste mit Aufgaben die nicht erledigt sind und keine Frist enthalten. Mit etwas zeitlicher Distanz wird vieles hinfällig oder ist schlicht mehr nachvollziehbar…Meine Hauptmotivation ist, dass ich meinen Kopf freibekomme und so meiner Aufgaben-FOMO entgegenwirken kann. So kann ich dann später durch die Liste durch, priorisieren und Fristen setzen.Am Ende des Tages, der Woche oder des Monats sehe ich wohin meine Zeit ging. Durch die Kategorisierung in Bereiche kann ich sogar sehen, wo ich die meiste Zeit investiere.
Mache ich alles in Notion.
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Arbeitsblöcke festlegen
Anstatt den ganzen Tag durch verschiedene Aufgaben zu springen, kannst du dir thematische Schwerpunkte festlegen und über die ganze Woche planen.Hast du deine Aufgaben und Projekte kategorisiert, kannst du zum entsprechenden Zeitpunkt den thematischen Schwerpunkt vornehmen.Dieses Vorgehen ermöglicht dir mit tiefer Konzentration an etwas zu arbeiten. Wähle dieses Vorgehen, wenn du kreativ oder konzeptionell arbeiten willst und die Aufgabe/Projekt keine Routinetätigkeit ist.Ich empfehle dir diese Arbeitsblöcke grob anzulegen, z.B als farbliche Bereiche in deinem Kalender oder als kleiner Notiz-Zettel am Bildschirm. Bitte hier nicht zu sehr in die Tiefe gehen.
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Leistungskurve analysieren
Wenn du weisst, wann du am meisten Energie hast, dann kannst du deinen Tag danach ausrichten – sofern du die Möglichkeit dazu besteht.Meine Leistungskurve ich am besten verstehen, indem ich mich auf Energietiefs konzentrierte:
- Wann fühle ich mich müde?
- Wann lenke ich mit seichter Unterhaltung (Social Media, Youtube, Zeitung lesen) ab, weil ich müde bin?
- Wann ich bin mit mir frustriert, dass ich nicht leisten kann?
- Welche Wirkung hat Nahrungsmittelaufnahme auf mich?
- Was kann ich tun, um mir eine kurze und nachhaltige Entspannung/Pause zu verschaffen? Welche gibt mir nachher nochmals ein kleineres Leistungshoch?
Heute habe ich einen groben Parameter, wann ich am leistungsfähigsten bin. Finetuning mache damit nicht. Kann ja sein, dass sich das wieder ändert. Weshalb ich mir gegenüber lieber offen bleibe und mich beobachte.
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Routinen und Gewohnheiten entwickeln
Welche Routinen kann ich entwickeln, die mir mit der Zeit keine Entscheidung mehr abverlangen? Je mehr Entscheidungen und je flexibler mein Arbeitstag ist, desto mehr verlange ich von meinem Hirn ab. Das können Dinge sein wie zur gleichen Zeit aufzustehen oder ins Bett zu gehen. Die gleiche Morgenroutine zu haben und den Arbeitstag auf die gleiche Art zu beenden – idealerweise auch übertragbar aufs Wochenende. Ich wache z.B. am Wochenende zur gleichen Zeit auf – das verlangt mir gar nichts ab. Es geschieht einfach → das sollte dein Messkriterium sein: WANN ist es für dich am einfachsten.
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Reflexion und Anpassung
Bitte verfolge kein Konzept blindlings. Breche jede Methode – und mache es passend für dich.Was funktioniert? Was nicht? Und wieso nicht? Reserviere dir regelmässig Zeitfenster, um zu reflektieren. Am besten funktionieren wöchentliche Reflexionen, weil sie überschaubar und nicht zu klein sind. Tägliche Reflexionen finde ich einen Overkill und monatliche sind zu grosse zeitliche Einheiten – man kann sich einfach nicht mehr erinnern, was vor 3 Wochen lief.
Ideen für Pomodoro-Pausen
Wenn ich im “Arbeitsrausch” bin, dann finde ich es manchmal schwierig, eine Pause einzulegen. Denn ich bin dann oft etwas ratlos, weil ich gedanklich so hoch fokussiert war. Aus diesem Grund habe ich mir einige Ideen gesammelt, was ich in diesen Pausen tun kann und möchte sie mit dir teilen:
- Dehnübungen, wie z.B. diese von Liebscher & Bracht
- 20–20-10 Augentraining für Bildschirmarbeitende, alle 20 Minuten schaust du für 20 Sekunden auf etwas das 10 Meter entfernt liegt. Dein Freipass einfach mal aus dem Fenster zu schauen (Quelle).
- Stosslüften
- Geschirrspüler einräumen oder ausräumen
- Treppenhaus hoch und runter gehen, springen oder hüpfen
- Wadenmuskulatur über Treppenabsatz dehnen
Was ist, wenn mir meine Arbeit keinen grossen Handlungsspielraum gibt?
Ich kenne das. Ich habe jahrelang Tätigkeiten gehabt, wo ich Gewehr-bei-Fuss für andere bereitstehen musste.
Von mir wurde ein extrem hohes Mass an Flexibilität verlangt und vielleicht ist das bei dir ähnlich.
Das Problem entsteht, wenn man von einem Angestellten hohe Flexibilität für andere voraussetzt UND viel Verantwortung abdelegiert, Aufgaben fertig zu stellen. Je öfter andere einem ablenken dürfen, desto schwieriger ist es an den eigenen Aufgaben dranzubleiben. Die konstante Unterbrechnung kostet extrem viel Energie und geht auf Kosten des eigenen Verantwortungsbereichs.
Ob ein solches Konstrukt sinnvoll ist, ist ein Thema für einen anderen Tag.
Die Frage ist, welchen Einflussgrad dir deine Arbeit auf deine Tagesgestaltung lässt. Wenn dieser Spielraum sehr klein ist, dann kannst du praktisch alle Werkzeuge oben vergessen.
Ausser 1 und 8, lässt sich kaum etwas konstant verfolgen.
Ich schreibe das auch, damit du dir keine Vorwürfe machst und dich auf das Machbare konzentrieren kannst.
Das Wichtigste ist, dass du für dich ein Vorgehen findest, wie du deine Tagesabläufe dokumentieren kannst.
Führe für dich ein Zeitprotokoll: Drucke ein A4 Blatt mit einer Tabelle und vorgedruckten Zeiten aus.
Nimm dir zu Beginn nicht zu viel vor. Wenn deine Arbeit einen hohen Grad an Fremdbestimmung hat, dann musst du zuerst ein Bewusstsein entwickeln, dass du deine Zeiten protokolliertst (bevor du es dann tust). Setze dir ganz kleine Ziele, wie z.B. dass du für jeden Tag mindestens 2h dokumentierst. Wenn du das regelmässig hinbekommst, dann steigere das. Wenn nicht, dann verkleinere die Zielvorgabe.
Erst wenn du du mehrere (lückenhafte) Wochen zusammen hast, analysierst du deine Dokumentation.
Reality-Check
Was du mit diesen Übungen erkennen wirst, kann ich nicht abschätzen oder dir eine Progrnose geben. Es geht nicht darum, WAS du entdecken wirst, sondern dass du ETWAS entdecken und den Wunsch hast, deine Tage und deine Arbeit besser zu verstehen.
Um mehr Kontrolle über deine Zeit und die Zeiteinteilung zu erreichen, geht es nicht darum, ans Ziel zu kommen. Keiner kennt das Ziel. Und das ist auch richtig.
Bei allen Übungen geht es darum mehr Bewusstsein zu entwickeln und Bewusstsein kann man nie zuviel haben. Je mehr Klarheit du für dich gewinnst, desto besser kannst du eine Veränderung einleiten.
Auch kleinste Änderungen entwickeln mit der Zeit eine grosse Hebelwirkung.
Einfacher ausgedrückt: der Weg ist das Ziel.
Meine Erfahrung
Aus meiner Praxis kann ich dir berichten, dass das jahrelange Angestellt-Sein mich sehr stark auf eine Weise konditioniert hat, die Arbeitgebern dienlich ist. Aber nicht mir, wenn ich ein eigenes Business aufbauen will.
Ich halte es wie Sisyphus, ich bleib einfach dran.
Ich weiss nicht wann ich den Stein über den Berg geschoben haben werde. Aber ich weiss, wenn ich dranbleibe, wird es klappen.
Ich höhle meine undienlichen Konditionen mit steten Tropfen aus.